„Das Streben nach dem Angenehmen ist unersättlich und verdrängt die Vernunft.
Tugendhaftes Verhalten dagegen spendet keine Lust, allenfalls das Ziel.“ (Aristoteles, Nikom. Ethik.)
Wozu soll man sich überhaupt um Tugenden bemühen? In einer Welt, in der Geiz geil ist und man sich schnell dem Vorwurf der Dummheit aussetzt, wenn man unter Leben mehr als Profit und Vorteil versteht?
Kinder sollen sich beherrschen, weniger Süßes essen, nicht so viel Fern- sehen, den Computer, das Handy und die Spielekonsole auch mal aus lassen und dafür draußen spielen.
Was von ihnen verlangt wird, klingt fast übermenschlich. Jeder, der regelmäßig Bahn fährt, kennt sie, die Mütter mit dem starren Blick aufs Handy, ungeachtet der Regungen, die ihr Nachwuchs zeigt. Wenn wir Erwachsenen Vorbilder sind, dann werden unsere Kinder uns wenn wir alt sind, den Spiegel vors Gesicht halten.
Wenn man in diesen mit Freude blicken möchte, dann lohnt sich die Beschäftigung mit Tugenden.
Aristoteles traf die Unterscheidung in das, was uns treibt, und das, was wir selbst entscheiden. Für bewusste Entscheidungen bedarf es einer Analyse der eigenen Antriebe, denen die Vernunft eine Haltung gegenüber stellt. Diese Haltung, die eingeübt werden kann, heißt Tugend.
Für Aristoteles stand außer Frage, dass eine Gemeinschaft ohne die Tugenden ihrer Mitglieder unter das Niveau von Tieren verkommt. Gerade die menschliche Freiheit gegenüber den Instinkten erzwingt eine Wahl.
Tapferkeit, Gerechtigkeit, Klugheit, Besonnenheit, Großzügigkeit sind die wichtigsten antiken Tugenden, das Christentum fügt noch Glaube, Liebe und Hoffnung hinzu.
Tugenden machen menschliches Verhalten zu verantwortungsvollem Handeln.
Aus dem einfachen Grund, dass niemand um die Tatsache seines Bewusstseins herum kommt. Und da dieses in der Bewertung von Umständen zu Extremen neigt, sofern man es den Gefühlen preis gibt, ist es für die Menschheit existentiell notwendig, Gefühlen mit Vernunft zu begegnen.
Auszüge aus der Nikomachischen Ethik:
Die Tapferkeit
Sie ist die Mitte zwischen Furcht und Zuversicht-
Doch gilt es zu unterscheiden, wann Furcht gerechtfertigt ist und wann nicht. Zu fürchten ist nur, was man selbst verursacht hat. Auf das Schicksal hat man keinen Einfluss. Welchem Schrecken tritt der Tapfere entgegen? Dem Tod, nein, denn in ihm heben sich die Gegensätze von Gut und Schlecht auf.
Das Furchterregende ist nicht für alle Menschen dasselbe. Furchterregendes hat quantitative und qualitative Beschaffenheit. Der Tapfere erträgt Übel um des Guten willen. (völlig furchtlos waren anscheinend die Kelten). Wer sich dagegen übermäßig fürchtet, ist feige. Der Feige ist einer, der zu wenig hofft, weil er alles fürchtet. Der Tapfere kennt die Gefahr, handelt aufgrund seiner Entscheidung besonnen und schnell zugleich.
Der Tapfere harrt aus, weil es gut ist, der Feige flieht, auch in den Tod. Der Tapfere handelt aus Vernunft, um eines Zieles willen, der Tollkühne wie der Feige sind Getriebene. Auch die Zuversichtlichen sind nicht tapfer, sie sind zuversichtlich, weil sie auf Erfahrungswerte zählen.
Wage zu denken, und tugendhaft zu handeln, dann erfährst du Freiheit.
So könnte man kurz den Inhalt der antiken Ethik beschreiben.
Lange war die Vernunft in Misskredit gekommen, insbesondere bei Psychologen, die schwere Schäden bei Gefühlsunterdrückung befürchteten.
Dabei besteht ein gravierender Unterschied darin, ob ich Gefühle unterdrücke, wahrnehme oder mich ihnen ungeprüft überlassen.
Heute ist es nach der wenig fruchtbaren emotionalen Katharsis der Nachkriegsgeneration en vogue, sich in Achtsamkeit zu üben.
Gefühle lässt man dabei in der Meditation an sich vorbei ziehen, weil in der Dualität der sinnlichen Erfahrung die Quelle für Leid vermutet wird.
Ich finde Achtsamkeit ein gutes Mittel, um sich von Gedanken- und Gefühlsaufruhr zu befreien.
Ob allerdings „Nichthandeln“ wirklich der menschlichen Natur entspricht, sei dahin gestellt.
Ich lerne aus Fehlern und Fehler mache ich, wenn ich handle. Leid zu vermeiden, kann – muss aber kein Lebensziel sein.
Handle ich dagegen verantwortungsvoll und bemühe mich um tugendhaftes Handeln, dann kann ich auch trotz Leid und Fehlern jeden Morgen in den Spiegel schauen und einen Menschen darin sehen.
dachte ich, als ich auf 2019 zurück blickte. Als Mutter, Tochter, Ex-Ehefrau hatte ich mich zunehmend eingeengt gefühlt. Aber auch mein Körper wies mir Grenzen auf, Grenzen, mit denen ich nicht gut lebte.
Als ich mir zunehmend Freiheit zu wünschen begann, befragte mich flugs meine innere „Philosophin“.
„Äußere oder innere Freiheit, Freiheit von oder Freiheit zu und schließlich: wäre ich auch bereit, mich der Verantwortung zu stellen, die jede Freiheit mit sich bringt? Woran merke ich, dass ich beengt werde und wie würde ich mich frei fühlen? Was soll denn, bitte, frei sein, der Körper, das Handeln, Denken oder Fühlen?…“
Sie fragte und fragte, während ich schon, als ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, wo und wie sich das Beengtwerden anfühlt, den Faden verlor.
„Ich atme oberflächlich“ unterbrach ich sie, „kann mich nur schwer aufraffen, wenn ich Alltagsaufgaben erledigen sollte, zwinge mich zum Sport und denke mir Schreckensszenarien aus. Und im Spiegel mag ich mich auch nicht so gern ansehen…“
„Kein Wunder“, warf das Fräulein Philosophin altklug ein, „du aalst dich in Szenarien, an die du dich erinnerst! Aber schön, dass du das noch kannst, dann übe dich doch- wenigstens für einen Zeitraum, den du täglich festlegst, im Erinnern des Schönen, der Momente, in denen du dich frei gefühlt hast- du hast die Wahl! Schreib das, was dir an freiem Raum bewusst wird, auf! Und, sei nett zu dir!“
Sie hat wohl recht, aus dem Fluss des Geschehens hatte ich Geschichten gebaut, in denen Gefühle zu Begriffen gerannen, an denen sich neue Erfahrungen festklammern konnten wie Sand an der Düne.
Dennoch, ich mag meine Geschichten- in ihnen kann ich mich von der Realität erholen- und das ist auch eine Art von Freiheit, in die ich fliehen kann, wenn das Leben mich überfordert.
Nicht für jeden Gegner, die mich heraus fordert, habe ich ein Schwert, nicht für jedes Spiel eigene Würfel, nicht für jedes gute Wort ein offenes Ohr.
2020 werde ich Werkzeuge anfertigen, deren Gebrauch mich frei macht.
Dabei helfen mir diese Fragen:
Was brauche ich, was braucht der andere? Wie können alle, die sich am Spiel beteiligen, gewinnen? Was ist auch fürs Universum gut? Inwiefern habe ich meine Mitte vernachlässigt, dass ich so extrem fühlen muss, dass ich meine, erdrückt und zerrissen, hinweg gespült oder –geweht zu werden?
Wie kann ich handeln und schaffen, sodass ich mich dabei freue?
Wenn ich dann weiß, dann entscheide ich freier und leichter.
Nichthandeln führt in die Depression, unter Zwang handeln zur Wut, falsch handeln zu Schuldgefühlen, aus Angst handeln in die Gier, Wissen zu Gewissen.
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Der doppelte Aspekt der Freiheit ist in der doppelten Natur des Menschen(Leib-Seele-Dualismus) begründet:
Der gläubige Mensch (kann mit dem Gewissen identifiziert werden) ist in Christus frei und erneuert- der Mensch in Fleisch und Blut dagegen wird leiblicher und alter, äußerlicher Mensch genannt.
Die Kluft zwischen der Freiheit in Christus und unfreiem Willen, der den Körper treibt, werden in Glauben und Dienstbarkeit überwunden. Aber kein äußeres Ding oder Werk kann den Menschen innerlich befreien.
Gebote allein können zwar den rechten Weg vorgeben, aber die nötige Stärke, ihn zu gehen, gibt nur der Glaube. Der Glaube jedoch muss eingeübt werden.
Letztlich verweisen die Gebote auf das Unvermögen, sie einzuhalten, und daher auf die Notwendigkeit, durch den Glauben an Christus gerechtfertigt zu werden.
Was Gebote nicht bewirken, der Glaube kanns!
Glaubst du, so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht.
Also geben die Zusagen Gottes, was die Gebote erfordern, und vollbringen, was die Gebote heißen.
Der Glaube vereinigt die Seele in einer Art Heiliger Hochzeit mit Gott. Und sie wird so aller göttlichen Tugenden teilhaftig.
Andererseits sind wir aufgrund unserer irdischen Gebundenheit Knechte- haben uns der Notwendigkeit der Existenz zu stellen. So geschiehts, dass der Mensch seines eigenen Leibes halber kann nicht müßig gehen. Doch ist dieses Werk freiwillig und nicht, um gerechtfertigt zu werden.
Und wie sieht die Liebe zum Nächsten aus? Sie stellt die Frage: „ Was tut diesem not?“ Dieser Gedanke wie die daraus folgenden Werke machen uns zu Knechten. Wenn auch freiwillig.
Ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus durch den Glauben, im nächsten durch die Liebe, im Körper durch Tätigkeit.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Luther definiert diese Ehre als eine Mischung aus Ehrfurcht und Liebe, weil sie ihre Kinder mit allem, was diese brauchen, leiblich und seelisch versorgen. Einer Furcht ohne Liebe erteilt er eine klare Absage, denn dies ist die Furcht, wie man sie vor dem Henker hat. Mit Hieronymus: „Was wir fürchten, das hassen wir auch!“
In der Erziehung spricht Luther vom Brechen des kindlichen Willens, was sicher nur so zu verstehen ist, das man nicht jedem Einfall nachgibt. Denn ohne begleitende Gnade ist auch eine strenge Erziehung hohl.
Zu Luthers Zeit war es gang und gäbe, dass Kinder zu Waisen wurden, die dann von Verwandten aufgenommen und erzogen wurden. Für dieses Verhältnis gilt dann das gleiche wie für das zwischen leiblichen Eltern und Kindern.
Luther warnt davor, Kinder zu Abhängigkeiten von äußeren Dingen und Einflüssen zu erziehen. Dazu gehört auch die Erziehung zur weltlichen Karriere.
Erziehen die Eltern ihre Kinder weltlich, so ist das der einzige Grund, weswegen diese den Gehorsam verweigern dürfen- das wird aber in jungen Jahren nicht möglich sein. Ist sich ein Kind des elterlichen Fehlverhaltens bewusst, kann es immer noch nach außen gehorchen und inwendig sich distanzieren. Heute würden wir dies nicht mehr unterschreiben, weil es Kinder vor eine unerträgliche Zerreißprobe stellt.
Luther ermahnt Eltern, dass Kindererziehung eine Aufgabe mit hoher Verantwortung ist. Sie spiegeln die elterliche Reife und müssen gleichzeitig versorgt werden- das fordert. Wir würden heute sagen, Luther beschreibt Kindererziehung als Fulltime-Job, der noch dazu zur eigenen Reifung beiträgt.
Falsche Erziehung rächt sich dann früher oder später an den Eltern.
Luther dehnt die Ehrfurcht vor den Eltern auf die vor der geistlichen Mutter, der Kirche aus, nicht ohne zu betonen, wie verderbt und unfähig diese zu seiner Zeit daherkommt. Insbesondere die Praxis, Pfründen zu vergeben, die nicht mit Seelsorge verbunden sind, prangert er an. „Geistlicher Obrigkeit haben wir viel, aber geistlicher Regierung nichts oder gar wenig.“
Luther warnt auch und gerade vor den gesellschaftlichen Folgen einer Führungsschwäche der Obrigkeit, auch der weltlichen. Die Kurie vergleicht Luther ziemlich drastisch mit Huren und Zuhältern, weil sie Amtsmissbrauch treibt und gleichzeitig die Gläubigen an der Nase herum führt. er schreckt auch nicht davor zurück, unbediente Kirchen der Verwüstung anzuempfehlen, was dann später auch tatsächlich zu Ausschreitungen geführt hat.
Von Konzilien hält Luther gar nichts, weil sie nichts Neues bringen und den weltlichen Arm schwächen. nur von diesem erhofft Luther sich noch eine Korrektur kirchlichen Treibens.
Schließlich fordert Luther auch, der weltlichen Obrigkeit zu gehorchen. Deren Ungerechtigkeit sieht er auch, aber Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun. denn weltliche Gewalt sei weniger schädlich als geistliche. Wo aber die Obrigkeit gotteslästerliche Tun von ihren Untertanen verlangt, haben diese die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung: Man muss gott mehr gehorchen als den Menschen
Untüchtige Regenten vergleicht er mit den biblischen Plagen, noch vor Pest, Teuerung und Krieg.
Zudem machen schlechte Zeiten fromme Leute, Krieg und böse Herrschaft zerstören alles zeitliche und ewige Gut. Mit Octavian: „Krieg zu führen gleicht dem Fischen mit einem goldenen Netz, mit dem man eben viel weniger fängt als man zu verlieren riskiert.“
Luther prangert die Nachlässigkeit der weltlichen Obrigkeit gegenüber Sauf und Fressgelagen, den überschwänglichen Kleidungskosten und dem Zinskauf an. „Das sind die drei Juden, die die ganze Welt aussaugen“.
Neben der kirchlichen Praxis, den Menschen den letzten Heller abzuknöpfen, empört sich Luther über die öffentlichen Freudenhäuser.
Schließlich soll auch das Gesinde gehorsam sein, die Herren aber gnädig auch mal ein Auge zudrücken.
Und schließlich hat auch die Frau dem Mann zu gehorchen , sofern der seine Macht nicht missbraucht.
Unter den Begriffen: gehorsam und Sorgfältigkeit lässt sich das vierte Gebot kurz und bündig zusammen fassen.
Wenn nun die ersten vier Gebote sich an die Vernunft wenden, die die nötigen Hierarchien angeraten sein lässt, so die übrigen an die Begierden.
„Du sollst nicht töten!“
Um diesem Gebot nachzukommen, ist ein sanftes Gemüt nötig. Nicht von der Art, dass man nur Ruhe gibt, wenn man dominieren kann, sondern derart, dass man seinen Feinden vergibt und nichts nachträgt. Regt man sich über andere auf, so kann man dies als Indiz dafür werten, wieviel Zorn noch in einem selbst stecken.
Mt 5,44: Tut wohl denen, die euch Leid tun; bittet für eure Verfolger und Lästerer.
Zorn, niederträchtige Gedanken und Schimpfworte ziehen die eigene Verurteilung sowie das ewige Feuer nach sich.
Sanftmut heißt auch, das angetane Unrecht stoisch zu ertragen, aber für seinen Nächsten einzutreten.
Jede sanftmütige Haltung ist nur möglich im Glauben.
Du sollst nicht ehebrechen!
Keuschheit ist erstrebenswert, aber nur bis zu dem Grad, dass sie den Körper nicht schädigt. Junge Menschen sollten daher früh heiraten. der Unkeuschheit ist am ehesten mit Arbeiten und Fasten beizukommen.
Die Keuschheit bedarf eines starken Glaubens, umso eher lässt sie sich verwirklichen.
Johannesbrief: „Ihr bedürft nicht, dass euch jemand lehre, denn eine göttliche Salbe, das ist der Geist Gottes, lehret euch alle Dinge“.
Der Unkeuschheit nachgeben heißt, seiner Seele zu schaden. Ihr aber nachzugeben, heißt,, sie nur noch mehr anzustacheln, ein Feuer am Lodern halten.
„Du sollst nicht stehlen!“
Dahinter steht die Tugend der “Mildigkeit”.
Geiz, Wucher, falsches Maß sind Diebstahl-zeitlich begrenzter Güter
Es würde schon reichen, wenn sich die Leute der goldenen Regel bewusster wären.
Geiz, der das Leben mit Sorgen um zeitliche Nahrung und unredlichem Gesuch so gar überlädt, bestrickt und gefangen hält, führt zu einem elenden und gefährlichen Leben.
Ohne Geiz zu leben ermöglicht Wunder.
„Der Gläubige habe Acht auf sich selbst und sehe zu, dass er dem Gold nicht nachlaufe und setze seine Zuversicht nicht aufs Geld, sondern lasse das Gold ihm nachlaufen und das Geld seiner Gnade warten, und lasse in der keines lieben, noch sein Herz daran kleben.“
Das ist keine Absage an die Arbeit, weil die zum irdischen Leben(Adam) dazu gehört, aber die Sorge möge man weg lassen.
Sich ganz auf Gott verlassen kann nur der Gläubige.
Des Geizes Ursache ist Mißtrauen, der Mildigkeit Ursache aber der Glaube. Mildigkeit erstreckt sich aber auch auf seine Feinde. Dem Bedürftigen nichts zu geben heißt, ihn zu bestehlen.
Dem Berufsbetteln dagegen hat der Staat einen Riegel vorzuschieben.
Du sollst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten
Die Wahrheit sagen- der Lüge widersprechen- und zwar überall, das ist der Sinn dieses Gebotes. Dazu gehört auch, dass man sich nicht bestechen lässt.
Psalm 82: „Erlöset den Armen von der Gewalt des Unrechten und dem Verlassenen helft seine Sache behalten!“ denn die Starken können dem gemeinen Mann schwer zusetzen.
Sollte aber dem Evangelium wieder Geltung verschafft werden, so wird es zum Tumult kommen. Auch Jesus wurde schlimmer verfolgt als alle vor ihm.
Bei der Wahrheit bleiben kann auch nur der Gläubige, so wie bei allen anderen Geboten auch.
Die letzten zwei Gebote schließlich bleiben nur Wegweiser bis in den Tod, erfüllbar sind sie aufgrund der Erbsünde nicht.
Luther untersucht in seiner Schrift von 1519 das Verhältnis von Handlungen, die den 10 Geboten entsprechen und gehorchen zum Geist, in dem dies geschieht. Ohne Glauben ist das reine Befolgen der Gebote nutzlos im Hinblick auf die Seligkeit, die erreicht werden soll, denn der Glaube an Christus ist das oberste, edelste Werk.
Zu jedem Gebot, die Luther Mt 19,18 gemäß untersucht, gehören spezifische Werke, die Luther aus dem rein formalen Zusammenhang in ihre Funktion, die sie für den Gläubigen haben sollen, stellt.
Dabei leitet ihn sein Grundsatz: Glauben oder Zweifel. Was immer man tut, ohne an den Sinn oder die Erfüllung zu glauben, kann man getrost lassen. Solche Werke sind tot.
Luther geht auf die Frage, inwiefern geistliche Werke, bis dato eingeteilt in evangelische Räte (Keuschheit, Armut und Gehorsam) und Gebote von irdischem Werk zu unterscheiden seien, immer in Hinblick auf ihre heiligende Wirkung, ein. Luther lässt keinen Unterschied gelten, solange das, was der einzelne tut, Gott gefällt, heute würden wir sagen, mit dem Gewissen vereinbar ist.
Zunächst ungeachtet der Frage, wie Gott und Gewissen zu erkennen seien, ist für ihn jeder, der an Gott glaubt und ihm vertraut, frei von Sünden. Sobald jedoch eine Handlung, egal wie hoch gesellschaftlich bewertet, nicht zum deutlichen Gefühl, gut zu sein, führt, fehlt ihr die heiligende Qualität. Für Luther, den ehemaligen Mönch, ist offensichtlich, dass diese Selbsterforschung sukzessive den Glauben und auch die Sicherheit stärkt. Wer glaubt, braucht keinen Lehrer- das Gute quillt sozusagen aus ihm hervor. Und zwar zu „seiner Zeit“. Kein Werk kann vom Glauben etwas weg nehmen oder dazu tun. Oder: Das Gute lässt sich nicht erzwingen. Und daher muss man sich darum auch nicht abrackern oder sich mit Sorgen belasten. An späterer Stelle beschreibt Luther, wie Schicksalsschläge zu bewerten seien, nämlich als eine Art „Richtungsweiser“.
Für die Qualität der Gnade wählt Luther ein Bild, das jedem selbst einleuchtet. Wenn sich ein Mann und eine Frau zueinander hingezogen fühlen, muss ihnen auch keiner sagen, wies geht.
Sobald aber angesichts von Entscheidungen kalkuliert und spekuliert wird, die Ausführung lustlos und quälend gerät, macht man sich oft genug zum Narren, und hat auch nichts davon.
Wems wirklich nicht gut geht, der wird mit dem „Deus absconditus“ konfrontiert. Ob das Übel ein von Gott gesandtes ist, darüber spekuliert Luther nicht, wenn er es auch an anderer Stelle nicht ausschließt, aber auf jeden Fall lassen es unliebsame Situationen geraten scheinen, den eigenen Glauben einer Prüfung zu unterziehen und weiter zu vertrauen, auch dem äußeren Anschein zum Trotz. Wer durch Prüfungen geht und dabei die Zuversicht nicht verliert, wird letztlich mit Standfestigkeit belohnt.
Luther interpretiert nach diesem Prolog das erste Gebot: „Du sollst nicht andere Götter haben!“ Die Werke des ersten Gebotes sind. Glaube, Hoffnung, Liebe. Und diese sind nicht voneinander zu trennen: Wer nicht einen liebenden Gott vor Augen hat, traut ihm auch nicht.
Wer diesem Gebot nicht folgt, sucht allerlei Ratgeber auf, probiert viel aus, während andere einen kompletten Jahrmarkt sinnentleerter Rituale veranstalten.
Luther weiß um die menschliche Natur Bescheid, die ständig in Bewegung ist, beschäftigt mit Tun oder Lassen, Fliehen oder Leiden. Aber erst der Glaube ist imstande, einem das richtige Maß, den angemessenen Arbeitsrhythmus zu diktieren. Wenn ich meine Tätigkeit für wertvoll halte, muss ich weder übertreiben noch resignieren. Letztendlich sind Werke schuldlos aufgrund der göttlichen Barmherzigkeit, nie aufgrund ihrer eigenen Qualität. Und der Glaube kommt immer aus Christus, ist nicht machbar, aber erfahrbar, umso öfter, je mehr man sich seiner bewusst ist. Ohne das verheißende Wort, den Zuspruch jedoch ist der Glaube nicht zu wecken.
Dem zweiten Gebot, Gottes Namen nicht zu missbrauchen, widmet sich Luther ausführlich.
Gott zu loben, ist ein besonders hohes Werk, verdienstvoller als die Inhalte der folgenden Gebote.
Gerade die Widerwärtigkeiten des Lebens machen darauf aufmerksam, dass die Ehrfurcht vor Gottes Namen nicht ausreichend gewürdigt wurde. Der Grund dafür liegt oft genug darin, dass die eigene Ehre gesucht wird. Wer also Lob von anderen empfängt, möge sich davon nicht abhängig machen, sondern es gelassen hinnehmen.
Der Missbrauch des göttlichen Namens zieht schwerste Strafen nach sich. Der Pfad durch Bosheit einerseits und Prahlerei andererseits ist eng und schmal. Josua 23,26: „Ihr sollt nicht wanken von meinen Geboten, weder zur rechten noch zur linken Hand.“
Eigenartigerweise und doch gleichzeitig sehr tröstlich gehört zur Ehrung des göttlichen Namens das Anrufen Gottes in Notsituationen. (Psalm 50, 15,23)
Doch gefährlicher als Not, die eher zu Gott hin führt, sind die Zeiten, in denen es einem gut geht. Dann vergisst man schnell Lob und Dankbarkeit. Und Gesellschaften, die florieren, lassen mehr Verbrechen zu als sie im Krieg möglich wären. (diese Sentenz wird später von Kant aufgegriffen)
Letztlich ist auch das Aufsuchen von Wahrsagern eine Form der Missachtung des göttlichen Namens.
„Gut macht Mut“.
Wenn uns nun schon die Widerwärtigkeiten des Lebens nicht dazu bringen, Gott anzurufen, dann der Blick auf die eigene Natur: Körperliche Bedürfnisse, weltliche und geistige werden schnell von dem was wir heute Sucht nennen, überdeckt: dann sucht der Körper nur noch Lust und Ruhe, in der Welt giert uns nach Reichtum, Gunst, Gewalt und Ehre, und der Geist wird selbstverliebt, während er andere verachtet.
Dass man im Namen Gottes nicht schwört oder flucht, versteht sich von selbst. Weniger offensichtlich ist Luthers Mahnung, in Gottes Namen für die Schwachen und Unterdrückten einzutreten. „Richtet dem Armen und Waisen seine Sach´ und dem Elenden und Dürstigen fördert sein Recht.“ und „Wie oft müsste mancher das Maul halten, dem jetzt die Welt muss zuhören!“ Alle fromme Pilgerei nützt nichts, solange man Ungerechtigkeit duldet.
Seinen Kommentar zum dritten Gebot- du sollst den Feiertag heiligen- leitet Luther ein mit einem Resumée seiner bisherigen Ausführungen: Gebietet das erst, wie sich das Herz Gott gegenüber zu verhalten habe, so das zweite, wie der Mund mit seinen Worten.
Luther prangert das Übermaß katholischer Feiertage, die zu nichts anderem als Müßiggang anregen, gepaart mit Saufgelagen und ausufernden Spielrunden(um Geld). Die Schuld dafür gibt er den Bischöfen.
Bei der Betrachtung der Hl. Messe stellt er das Abendmahl in den Mittelpunkt. Die Teilnahme an Christi Leib und die Vergebung der Sünden im Kelch führen zum Dank, der richtig verstandenen Eucharistie. Im Gottesdienst nicht zu predigen ist Vernachlässigung der Gläubigen, was der katholischen Kirche seit jeher vorgeworfen wurde.
Schließlich soll man im Gebet seine Not vorbringen im Vertrauen auf Gottes Heilszusagen:
„Wer nicht traut, der erlangt nichts, weder das, was er erbittet, noch ein Besseres!“
Damit erklärt Luther auch die Ineffektivität klösterlichen Gebets. Denn ohne Glauben bringen sie nicht mehr als „Freizeit“.
Man soll Gott die Not vorlegen im Gebet, doch nicht ihm ein Maß, Weise, Ziel oder Stätte setzen.
Röm 8,26: „Und Gott wirkt und gibt höher, denn wir begreifen.“
Wer nicht glaubt, sündigt auf der linken Seite, wer Gott Vorgaben macht, auf der rechten. Das rechte Gebet findet im Geist und der Wahrheit statt. Das Gebet fördert den Glauben, und schon in dem Moment, wo die Unfähigkeit zu glauben im Gebet vorgebracht wird. Wer Gott erfahren will, muss klein anfangen.
Das oberste Gebet besteht darin, die eigene Not in aller Anschaulichkeit, mit Weinen und Winseln, vorzutragen, und wem da nichts einfällt, der ist wahrhaftig arm dran. Der muss sich die andere Tafel der 10 Gebote vor Augen führen, um zu sehen, gegen welche er verstößt. Mit leiblicher Krankheit laufen wir zu Gott, mit seelischer jedoch nicht! Verstoß gegen Tugenden ist seelische Krankheit, und Gott ist nicht den Sündern, sondern den Ungläubigen feind.
Ein besonders wichtiges Gebet ist die Fürbitte, ebenso wie das Sündenbekenntnis.
In der Wahrheit zu beten, heißt, sich des Inhaltes seines Gebetes bewusst zu sein.
Luther beklagt die geistig/ geistlichen Zustände seiner Zeit, und befürchtet, dass nichts und niemand Gottes Zorn aufhalten werde. Die Fürbitte hält er darum für umso wichtiger.
Außerdem reicht der Sonntag als Feiertag, zehren doch die vielen Feiertage das Land aus.
Am Sonntag aber sollen wir nur Gott in uns wirken lassen.
Zum Fasten meint Luther, man solle es so praktizieren, wie einen die kleinen und größeren Süchte plagen. wer keinen Anlass zum Fasten sieht, muss es auch nicht. Das Fasten soll die Gesundheit erhalten.
Zusammengefasst bedeutet das dritte Gebot Gottesdienst mit Beten, Predigt hören, und zum Ausgleich kommen, auch wenn dieser Gottesdienst durchaus alles Übel hervor holen kann.
„So geht der Glaube aus in die Werke und kommt wieder durch die Werke zu sich selbst und stärkt also sich selbst durch die zwei Werke des dritten und anderen Gebots. Wie die Sonne auf- und niedergeht, erlebt der Mensch am Tag das friedliche Leben im Werk, nachts das Leid, und der glaube wirkt in beiden.“
Letztlich ist das Vaterunser die Zusammenfassung aller Gebetspraxis.