Freiheit und Schicksal

Lichtbrechung macht Muster
Sonnenstrahlen

Was aktuell weltweit geschieht, kann man da von Schicksal sprechen? Und, wenn ja, wer hats denn geschickt, das Virus mit all seinen Folgen und Unwägbarkeiten? Wo früher eine göttliche Vorhersehung waltete, wer hat denn heute eine Seuche zu verantworten?

Wer so denkt, und nicht mit dem Finger auf Gott zeigen will, braucht einen anderen Schuldigen. Und wer Schuldige braucht, ist unfrei.

Frei zu sein kann einfach heißen, annehmen, was ist.

Wilhelm Schmid drückt das so aus:

Jeder Einzelne muss selbst seine Beziehung zum Leben finden und festlegen. Eine Option dafür ist die bejahende Beziehung. (Schmid, Dem Leben Sinn geben)

Fakt ist, dass wir über das Virus, die Krankheit, die es auslöst, die Langzeitfolgen, seine Verweildauer nicht viel wissen. Nicht zu wissen, kann sehr befreiend sein. Wissen findet ja immer im Rahmen statt, unter Bedingungen. Das Leben ist mehr als ein Leben im Rahmen,  der Sicherheit vortäuscht, weil wir gern Sicherheit haben.

Ich gehöre zur Risikogruppe, bin nicht systemrelevant, war ich auch nie- und schon zeigt uns das Virus, wer anscheinend wichtig ist und wer nicht. Wichtig zu sein, gibt Sicherheit. Wer wichtig ist, der wird versorgt- zumindest bei Primaten.

Systemrelevanz ist ein Rahmen.

Weniger publik als die Systemrelevanz von Ärzten ist derzeit die Systemrelevanz von Patienten. Ohne die können Kliniken dicht machen, die Systemrelevanz von Kindern, die die Arbeitsplätze von Erziehern sichern, die Systemrelevanz von Obdachlosen, denen wir unsere abgelegten Kleider und frische Brötchen an den Gabenzaun hängen.

Es gibt keinen plausiblen Grund dafür, die Wichtigkeit von Menschen zu bewerten, außer man hat Angst vor Bedeutungslosigkeit, eine sehr kindliche Angst.

Viele von uns haben etwas dazu gewonnen, was für jeden einzelnen durchaus systemrelevant ist, nämlich Zeit.

Als ich heute Mittag nach dem Essen in nicht ganz so guter Gewohnheit zum Schokoriegel greifen wollte, hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was ich denn wirklich brauchte.

Ruhe, ganz einfach Ruhe zur Verdauung. Hatte ich noch nie- nahm ich mir, und tut  unglaublich gut.

Mehr Zeit, weniger Sicherheit, neuer Freiraum, den kennen zu lernen sich lohnt.

Das ist der Raum, in dem ich selbst bestimme, wer und was für mich relevant ist, mit Liebe und Vertrauen.

Weil sonst die Angst diesen freien Raum, die freie Zeit gleich wieder zukleistert.

Und das, was ich für wichtig halte, das pflege ich.

Das Bild, das wurde mir geschickt- von der Sonne in mein Badezimmer. Sie verwandelte den Schatten meiner Wäschetonne in eine Strahlenkrone.

Mir ist die prekäre Lage vieler Menschen bewusst, aber ich bin davon überzeugt, dass es menschliche Wege gibt, Ressourcen gerecht zu verteilen.

Wir sind alle mehr als Primaten, die an ihre Instinkte gebunden sind,  wir haben die Freiheit, das Leben und alles, was dazu gehört, zu pflegen und zu bejahen.

Was uns Menschen auch geschickt wird, wir sind nicht ausgeliefert- solange wir denken und verantwortungsvoll handeln können. Schicksal- gibt’s nicht!